Im letzten Jahr haben die Höhen und Tiefen der weltweiten Corona-Pandemie die Entwicklung immersiver Technologien im AEC-Sektor weiterhin beeinflusst. Laut der 26. UN-Klimakonferenz der Vertragsparteien (COP26) steht die Branche auch unter Druck, die CO2-Emissionen und die Energieverschwendung im Laufe der Lebensdauer eines Gebäudes zu senken. Sowohl die Pandemie also auch der Klimawandel verändern die Branche weiterhin.
Im Folgenden sehen wir uns einige dieser Architekturtrends des AEC-Sektors an und hören uns an, was nach Einschätzung wichtiger Akteure die Art und Weise beeinflussen wird, wie Architekten in den kommenden Jahren an Projekten arbeiten werden.
Renovierung bereits bestehender Gebäude
Kurz nach dem Beginn des COP26 in Glasgow in den UK befindet sich der AEC-Sektor wieder einmal wegen seines hohen Ausstoßes an weltweiten CO2-Emissionen und der Menge an Energieverschwendung durch Gebäude, insbesondere ältere Gebäude, im Scheinwerferlicht.
Laut der Non-Profit-Organisation Architecture 2030 sind Gebäude für „fast 40 % der jährlichen weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Von diesen Gesamtemissionen ist der Gebäudebetrieb für 28 % jährlich verantwortlich, während Gebäudematerialien und Bau (normalerweise als gebundener Kohlenstoff bezeichnet) für zusätzliche 11 % jährlich verantwortlich sind.“
Und die Bodenfläche, die durch Neubauten zum weltweiten Gebäudebestand hinzukommt ist, „als würde man jeden Monat 40 Jahre lang die Welt um ganz New York City ergänzen.“
Sollte dieses Problem nicht schon groß genug sein, gibt es auch das Problem der bereits bestehenden Gebäude und deren Auswirkung auf CO2-Emissionen und Energieverbrauch. Architecture 2030 schätzt, dass etwa zwei Drittel der „heute bestehenden weltweiten Bodenfläche im Jahr 2040 immer noch existieren wird“ und, dass „diese Gebäude ohne weitverbreitete Gebäudedekarbonisierung auf der ganzen Welt im Jahr 2040 immer noch CO2-Emissionen ausstoßen und das 1,5°C-Ziel des Pariser Abkommens nicht erfüllen werden.“
Renovierung im Gange, Newport, UK
Somit kann Renovierung und angepasste Wiederverwendung als die grünste Lösung betrachtet werden, um die negativen Umweltauswirkungen von Gebäuden zu verringern. „Die Community für den Erhalt von Gebäuden ist der Meinung, dass das grünste Gebäude das Gebäude ist, das nicht neu gebaut wird. Es existiert wirklich“, sagt Architektin Ruth Todd, Präsidentin und eine Leiterin der Firma Page & Turnbull mit Standort in San Francisco, während eines Online-Interviews von World Architecture News über Erhalt und Wiederverwendung. „Zu erkennen, dass bereits bestehende Gebäude alle Energie, die in der Vergangenheit zum Ausdruck gebracht wurde, enthalten und keine neuen Energieaufwendungen benötigen, damit sie in Zukunft besser funktionieren, ist also der feinfühligste Beitrag zum Klimawandel, den ein Architekt leisten könnte.“
Wie man es schafft, dass Gebäude in der Zukunft besser funktionieren, ist ein Problem, das Städte wie Mailand in Italien betrifft, wo es viele untergenutzte und verlassene Bürogebäude am Stadtrand gibt – und diese „brauchen eine Zukunft“, sagt Mitbegründer Paolo Mazzoleni der italienischen Architekturfirma BEMaa bei einer Diskussion anlässlich eines runden Tischs von Graphisoft Building Together mit dem Titel „Our urban future“ (Unsere urbane Zukunft).
„Die Renovierungskosten sind sehr hoch und wir müssen sie senken“, sagt er. Und obwohl Mazzoleni lieber von Grund auf entwirft, sagt er: „Es ist aus ökologischer Sicht nicht richtig, alle Gebäude aufzugeben.“
Leeres Gebäude in Mailand, Torre Galfa – Foto von Giovanni Hänninen
Daniel Toledo, Partner und CEO bei der brasilianischen Architekturfirma Königsberger Vannucchi Arquitetura, der auch an der Graphisoft Building Together-Diskussion teilnahm, hebt hervor: „Wir müssen besser verstehen, wie wir das nutzen können, was wir bereits gebaut haben“, sagt er. „In neuen Städten ist es günstiger, ein neues Gebäude zu bauen, als bestehende Gebäude zu renovieren.“ Es ist jedoch notwendig, zu verstehen, „wie man es günstiger gestalten kann“, sagt er, „denn natürlich ist es nachhaltiger und es hilft dabei, kompakte Städte zu haben, um bestehende Infrastruktur besser zu nutzen. Ich denke, all diese Technologie sollte bei diesem Prozess viel helfen.“
Technologietrends in der Architektur
Die im AEC-Sektor verfügbaren Technologien reichen von Konstruktionsrobotik, Hilfsmittel zur Echtzeit-Visualisierung, Laser-Scanning und Photogrammetrie bis zu virtuellen Technologien wie Virtuelle Realität (VR), Augmented Reality (AR) und Mixed Reality (MR), die alle unter den Oberbegriff Extended Reality (XR) fallen.
Im Hinblick auf XR und den Bereich der virtuellen Technologien, die sie umfasst, steigen die Kundenerwartungen mit Anfragen für VR-bezogene Leistungen, die in Verträgen enthalten sein sollen – ähnlich wie es vor sieben bis zehn Jahren bei BIM-Modellen war.
Die Geschichte der VR-Technologie geht bereits bis in die 1950er und 1960er Jahre zurück, als der US-amerikanische Filmemacher Morton Heilig Ideen über das Experience Theatre, seinen mechanischen Prototyp Sensorama und sein Telesphere Mask-Patent hervorbrachte. Doch der Fortschritt, VR zur allgemeinen öffentlichen und kommerziellen Nutzung verfügbar zu machen, wurde von wuchtigen Head-Mounted-Displays (HMD) und der Computerleistung, die für den Betrieb der VR-Software erforderlich ist, behindert.
Dennoch ist die Forschung und Entwicklung im Bereich der kollaborativen und immersiven Echtzeit-Technologie bei Tech-Firmen, Architekturfirmen und Universtäten wie Google, Microsoft, Enscape, UNStudio und BIG, Zaha Hadid VR Group (ZHVR), MVRDV und der Aalto University in Finnland im Gange.
Leichtere und komfortablere HMDs, Fortschritte bei Videospiel-Design-Engines, die Einführung von 5G und Verbesserungen bei der Bandbreite und der Latenzzeit sowie Menschen, die sich immer mehr ans Homeoffice gewöhnen und durch die Pandemie Hilfsmittel zur Online-Zusammenarbeit nutzen, bringen weiteren Schwung in die Entwicklung von XR und Echtzeit-Zusammenarbeitstools.
Hardware, Software, zuverlässige Konnektivität und andere Themen bleiben jedoch immer noch bestehen. Insbesondere Architekten stehen einer großen Anzahl von Angeboten für virtuelle und Echtzeit-Zusammenarbeitssoftware gegenüber, die nahtlos mit ihren bestehenden CAD und BIM-Tools funktionieren müssen. Ein weiteres Thema, das die Architekten im Vereinigten Königreich betrifft, ist ein Gesetzesvorschlag der Regierung, mit dem das sogenannte Prinzip des goldenen Fadens eingeführt werden soll. ZHVR beschreibt dies in einem Whitepaper als „eine komplette Aufzeichnung jeder Entscheidung, die die Entwicklung des Gebäudes betrifft, von frühen Design-Entscheidungen über den Bau bis hin zu alten Übergaben, einschließlich jeder Wartung und Reparatur“. Als Reaktion darauf stellt das Projekt von ZHVR, Sphereing, das eine Echtzeit-Zusammenarbeit und Mitwirkung in VR ermöglicht, einen Bezugsrahmen für eine „einheitliche VR-Plattform zur Bewertung und Aufzeichnung, die dazu genutzt werden kann, digitale Daten zu konsolidieren und die Bewertung sowie den Prozess der Entscheidungsfindung während der gesamten Dauer eines Projekts aufzuzeichnen“ dar.
Für Architekten bietet die Zukunft der VR-Tools Gelegenheiten, um sowohl eine große Menge an mit dem Design und Bauprozess verbundenen Daten zu verwalten, wodurch daraus mehr als nur ein Tool zur Visualisierung wird, als auch, um die Kunden in den Designprozess an sich miteinzubeziehen.
Aber für Architekten, die ihre eigenen Tools für virtuelles Design programmieren, wie Andreea Ion Cojocaru, Architektin, Softwareentwicklerin und Mitbegründerin des deutschen Kreativstudios Numena, das sowohl Ziegelsteine also auch Mörtelgebäude und virtuelle Architektur entwirft, ist diese Art, mit Kunden zu arbeiten, schon Realität. Indem sich die Kunden in den Projektdesignmodellen von Numena bewegen, können sie sowohl die nicht-strukturellen Elemente im Maßstab 1:1 bearbeiten als auch einen Überblick über das Projekt erhalten, um die Auswirkungen der Änderungen auf das Gesamtdesign zu sehen. „Wir entdecken“, sagt sie bei der NXT BLD 2021-Konferenz, „dass echte VR eine ganz erhebliche Auswirkung darauf haben kann, wie wir entwerfen, und auf die Dinge, die aus diesen Designs entstehen.“
Die Visualisierung und das Begehen solcher 3D-Architekturmodelle ist in der VR mit dem Enscape-Plug-in schon möglich.
Metaverse
Der Begriff Metaverse liegt stark im Trend, seit Facebook seine Namensänderung in Meta angekündigt und Mark Zuckerberg gesagt hat, dass Metaverse die Zukunft des Unternehmens sei. Es gibt den Begriff jedoch, seit der Science-Fiction-Schriftsteller Neal Stephenson ihn in seinem Science-Fiction-Roman Snow Crash 1992 erfunden hat.
Kurz zusammengefasst ist Metaverse heutzutage ein Big-Tech-Traum vernetzter, in Echtzeit agierender und beständiger virtueller Communitys von Menschen, die sich durch virtuelle Räume teleportieren, Diese werden von XR-Systemen betrieben, in denen Menschen leben, arbeiten und spielen können. Denken Sie an Fortnite und Second Life als Ausgangspunkte für Metaverse. Und denken Sie bei Science Fiction an Matrix und Ready Player One.
Es geht darum, online in einer virtuellen Welt genau wie in der echten Welt zu leben. Für den Risikokapitalgeber Matthew Ball ist Metaverse „ein massiv skaliertes und vollständig kompatibles Netzwerk in Echtzeit gerenderter virtueller 3D-Welten, die gleichzeitig und beständig von einer tatsächlich unbegrenzten Anzahl von Nutzern mit einem individuellen Sinn für Anwesenheit sowie mit Datenkontinuität wie Identität, Geschichte, Berechtigungen, Ziele, Kommunikationen und Zahlungen erfahren werden kann.“
Obwohl es noch viele Hindernisse auf dem Weg, Metaverse wahr werden zu lassen, gibt – etwa Hardware-Design und die Interoperabilität verschiedener immersiver Systeme –, sieht Alex Coulombe vom XR-fokussierten Kreativstudio Agile Lense in New York Gelegenheiten für Architekten in der virtuellen Welt.
Im Hinblick auf den aktuellen Standard des architektonischen Designs in Räumen für Virtuelle Realität „liegt die Messlatte gerade ziemlich niedrig“, sagt Coulombe auf der Konferenz NXT BLD 2021. „Die meiste Architektur für Virtuelle Realität, die Sie auf beliebten Plattformen, VRChat und AltspaceVR sehen, werden nicht von Architekten entworfen“, sagt er.
Coulombe hätte gerne, dass Architekten ihre architektonischen Fähigkeiten und ihr Verständnis für architektonische Psychologie in der echten Welt anwenden, um virtuelle Architektur zu entwerfen, indem sie mit den Hilfsmitteln in ihrem geistigen Werkzeugkasten virtuelle Räume entwerfen.
Und obwohl er Ähnlichkeiten beim Game-Design und Design virtueller Architektur feststellt, ist eine seiner Hoffnungen, dass, wenn „Architekten sich mehr daran beteiligen, es mehr Möglichkeiten geben wird, sich Zeit zu nehmen und nicht immer das Gefühl zu haben, dass es etwas gibt, auf das Sie hundertmal pro Sekunde klicken müssen.“